Corona: Rezession und Restrukturierung!
Die Corona-Pandemie stürzt sowohl die europäischen Staaten als auch ihre weltweiten Wirtschaftspartner in die schwerste Rezession ihrer Geschichte.
In der Eurozone wird eine Schrumpfung der Wirtschaftsleistung um bis zu 8% gegenüber dem Vorjahr erwartet (1). Abhängig von dem weiteren Verlauf des derzeitigen wirtschaftlichen und sozialen Lockdowns erwartet die Bundesbank für 2020 wieder ein Wachstum von 3,2%, für 2022 von 3,8% für das deutsche BIP (2).
Ein maßgebendes Bild für die wirtschaftliche Situation zeigt sich in der Zahl der Arbeitslosen. In der Eurozone wird eine Arbeitslosenrate von bis zu 10% erwartet; in Deutschland liegt sie derzeit bei 6,1%(3); die Anzahl der Kurzarbeiter bei rund 10 Mio (4). Meines Erachtens steht zu erwarten, dass etwa 20% davon über kurz oder lang in die echte Arbeitslosigkeit eintreten werden. Der durchschnittliche Schuldenstand der Staaten der Eurozone lag 2019 bei 86% des BIP; er wird voraussichtlich auf 103% des BIP steigen, wobei die europäischen Regeln nur 60% des BIP erlauben (5).
Während das Bild für die öffentlichen Haushalte relativ klar erscheint, ist die Situation in den verschiedenen Sektoren der Privatwirtschaft äußerst unterschiedlich. Es werden wirtschaftliche Rückgänge um bis zu 90% im Tourismus und im Luftverkehr, bis zu 60% in der Automotive-Industrie erwartet(6).
Während die großen Unternehmen teilweise mit Staatshilfe voraussichtlich die Krise meistern werden, ist insbesondere bei den mittelständischen Unternehmen ein scharfer Anstieg der Insolvenzen nicht auszuschließen. Der Kreditversicherer Coface rechnet mit einem weltweiten Anstieg der Insolvenzen von 25% (USA + 39%; Europa etwa + 20%; Deutschland + 11%)(7).
Perspektivisch gewinnt daher die Restrukturierungsrichtlinie der EU vom 26.06.2019 nennenswert an Bedeutung (8). Die Richtlinie ist am 16.07.2019 in Kraft getreten; ihre wesentlichen Bestimmungen müssen von den Mitgliedstaaten bis spätestens 17.07.2021 umgesetzt werden. Die Bundesregierung hat im Februar dazu einen Referentenentwurf vorgelegt (9).
Das Insolvenzrecht in der EU ist äußerst differenziert und keineswegs harmonisiert (10). Aus deutscher Sicht sind unternehmensseitig die sogenannten „präventiven Restrukturierungsverfahren“ von besonderer Bedeutung. Hierbei sollen die Unternehmensinhaber ganz oder zumindest teilweise die Kontrolle über ihren Betrieb und seine tägliche Operative behalten. Den Schuldnern kann grundsätzlich für vier Monate, ggf. auch verlängert bis zu 12 Monate, Schutz vor Einzelvollstreckungsmaßnahmen gewährt werden. Mit diesen Verfahren soll erreicht werden, dass die Unternehmen und Arbeitsplätze dem volkswirtschaftlichen Wertschöpfungsprozess erhalten bleiben und Insolvenzschäden vermindert werden (11).
Dem angelsächsischen Gedanken der „Second Chance“ soll weitgehend Rechnung getragen werden. Dazu sollen die Fristen zur Restschuldbefreiung deutlich auf drei Jahre reduziert werden(12).
Interessant ist die Frage, ob und gegebenenfalls wie die Insolvenzrechtsfragen mit den Corona-Krisenmaßnahmen (13) verbunden werden können (14). In der Literatur wird die fehlende Abstimmung schon früh kritisiert (15) und eine intensivere und vorzeitig verbesserte Nutzung des Schutzschirmverfahrens gefordert (16).
Im Interesse der wirtschaftlichen Entwicklung unseres Landes, der Europäischen Union und der ganzen Welt bleibt nur zu hoffen, dass die Gesetzgeber schnell und zielführend die besonderen Herausforderungen der Corona-Krise im Insolvenzrecht berücksichtigen. Dazu sind gegebenenfalls auch Eingriffe in die Rechtsposition und die Rangfolge der Gläubiger notwendig.
(1) EU sieht sich in der schwersten Rezession ihrer Geschichte, dpa-AFX, 06.05.2020
(3) https://www.arbeitsagentur.de/news/arbeitsmarkt-2020, abgerufen am 04.06.2020
(4) https://de.statista.com/statistik/daten/studie/2603/umfrage/entwicklung-des-bestands-an-kurzarbeitern/#professional, abgerufen am 04.06.2020
(5) Siehe dazu www.destatis.de/Europa/DE/Thema/Wirtschaft-Finanzen/Eurozone.html: Neuverschuldung bleibt im Rahmen, abgerufen am 03.06.2020
(6) dpa-AFX, 06.05.2020
(7) Vgl. 1businessworld.com/2020/04: Pleitevirus: Mehr Großinsolvenzen im März – ausgestanden ist es damit längst nicht; siehe auch Sparkassenzeitung vom 19.05.2020: Sparkassen erwarten mehr Insolvenzen
(8) Richtlinie (EU) 2019/1023 des europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2019 über präventive Restrukturierungsmaßnahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 (Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz), Amtsblatt der Europäischen Union vom 26.06.2019 L 172/18 ff.
(9) https://www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RefE_Restschuldbefreiuung.pdf?__blob=publicationFile&v=1, abgerufen am 04.06.2020
(10) Siehe dazu IDW: Präventiver Restrukturierungsrahmen, Umsetzung der europäischen Restrukturierungsrichtlinie in nationales Recht, Positionspapier, Düsseldorf 2019, S. 3 ff.; zur Genealogie der EU-Richtlinie 2019/1023 siehe Schultze & Braun: EU-Restrukturierungsrahmen, https://www.schultze-braun.de/leistungen/cross-border/eu-restrukturierungsrahmen/, abgerufen am 06.05.2020
(11) Vgl. BMJV, Pressemitteilungen vom 13.02.2020: Verkürzte Restschuldbefreiung auch für über- schuldete Verbraucherinnen und Verbraucher – BMJV veröffentlicht Referentenentwurf
(12) Siehe Fn 11
(13) Vgl. BMJV: Corona Insolvenzantragspflicht wird ausgesetzt; Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht https://www.bmjv.de/DE/Themen/FokusThemen/Corona/Insolvenzantrag/Corona_Insolvenzan trag_node.html, abgerufen am 06.05.2020; vgl. BMJV: Corona Kündigungsschutz für Mieter und wichtige Zahlungsaufschübe für Verbraucher und Kleinstgewerbetreibende, https://www.bmjv.de/DE/Themen/FokusThemen/Corona/Miete/Corona_Miete_node.html, abgerufen am 06.05.2020
(14) Siehe Accountancy Europe: Coronavirus Crisis: 15 actions for governments to protect European SMES, https://www.accountancyeurope.eu/publications/coronavirus-crisis-15-actions-for-govern ments-to-protect-european-smes/, abgerufen am 06.05.2020
(15) Siehe Madaus, Stephan: Covid-19 – Die fehlende Synchronisation des Schutzschirmverfahrens, https://stephanmadaus.de/2020/04/27/covid-19-die-fehlende-synchronisation-des-schutzschirmverfahrens; ebenso Frind, Frank: Reform des Restschuldbefreiungsverfahrens, „Minimalinvarsive“ Umsetzungslösung genügt nicht, in: Zeitschrift für Rechtspolitik 2020, S. 69 ff.
(16) Zu weiteren Aspekten der Reform des Insolvenzrechts siehe Frind, Frank: EU-Restruk-turierungsrichtlinie: Der insolvenzrechtliche Überschuldungstatbestand als notwendiges „Frühwarnsystem“ bei der nationalen Umsetzung, in: Betriebs-Berater 41/2019, S. 2381 ff.;
Seibt, Christoph H., von Treuenfeld, Antonia: Gesellschafts- und kapitalmarktrechtliche Aspekte der EU-Restrukturierungsrichtlinie, in: Der Betrieb 21/2019, S. 1190 ff.