„Apple“ und „Anti“ – steuerliches Sommertheater in der EU
Mitte Juli diesen Jahres hat es zwei Ereignisse gegeben, die erst bei näherem Hinschauen in Zusammenhang stehen.
Am 16. Juli 2020 titelt die FAZ: „Apple siegt im Steuerstreit mit der EU-Kommission“.(1) In erster Instanz hat das zuständige Gericht der Europäischen Union (EuG) im Steuerstreit mit Apple die Entscheidung der Brüsseler Wettbewerbshüter vom August 2016 für nichtig erklärt, wonach das Unternehmen in Irland mehr als 14 Milliarden EUR an Steuern nachzahlen muss. Dies ist, gelinde gesagt, eine ziemliche Klatsche für die gesamte EU-Kommission, insbesondere aber für die Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager. Das Gericht folgte der steuerlichen Argumentation von Apple. Demnach sind die Erträge, auf die das Unternehmen in Irland hätte Steuern zahlen sollen, gar nicht dort angefallen, sondern in den Vereinigten Staaten. Dort seien sie auch versteuert worden.
Gerade Letzteres könnte jedoch strittig sein. Apple hat im Streitfall zwei Unternehmen in Irland, nämlich die Vertriebsgesellschaft Apple Service Europe und das für die Herstellung bestimmter Computer-Serien zuständige Unternehmen Apple Operations Europe. Der Verwaltungssitz dieser Unternehmen war allerdings nicht in Irland; vielmehr waren die Unternehmen „nirgendwo auf der Welt niedergelassen“ (2) und mussten deshalb im Streitfall über die irischen Steuern hinaus keine weiteren Steuern zahlen.
Die Brüsseler Wettbewerbsbehörde hatte zwei sogenannte „Tax Rulings“ aus dem Jahre 1991 beanstandet, in denen der irische Fiskus die Modalitäten der Besteuerung von Apple in Irland geregelt hatte. (3) Die rulings sind zweiseitige Verträge zwischen dem irischen Staat und Apple, in denen die in Irland steuerpflichtigen Apple-Gewinne sehr niedrig festgelegt wurden.
Im Prinzip geht es also um einen bedeutenden Fall des Transfer Pricing, der BEPS-Diskussion und insbesondere der sog. funktionalen Aufteilung von Wertschöpfungsketten. Den in Irland ausgeübten Funktionen des Vertriebs, der Verwaltung und der Produktion wird keine wesentliche Bedeutung und damit auch keine entscheidende Wertschöpfung beigemessen. Vielmehr hält es das Gericht für zutreffend, dass quasi alle wesentlichen Gewinnanteile der Forschung und Entwicklung der Produkte zugeordnet werden. Diese haben nachgewiesener Maßen in den USA stattgefunden. (4)
Das klare Fazit aus dem Urteil kann nur lauten, dass „der Kampf gegen die Steuervermeidung….nicht mit bisheriger Methode fortgesetzt“ werden kann (5), wenn auch ähnliche Fälle in den Niederlanden (Steuerregeln für Starbucks) zugunsten der Kommission entschieden wurden. Wahrscheinlich wird die EU-Kommission das Apple-Urteil akzeptieren, weil auch im Fall Starbucks in den Niederlanden keine Rechtsmittel eingelegt wurden. Es gibt allerdings einen weiteren Fall in Luxemburg, der von dem Unternehmen (FIAT) verloren wurde, aber nun in der höheren Instanz anhängig ist. (6)
Viele EU-Bürger sind unzufrieden mit dem Umstand, dass hochprofitable US-Konzerne in Europa so gut wie keine Steuern zahlen. Dies ändert jedoch nichts an der Rechtslage, wonach mit dem Wettbewerbsrecht die in nationaler Verantwortung liegenden Steuergesetze nicht außer Kraft gesetzt werden können.
Auch der EU-Kommissions-Vize Dombrovskis sieht die Steuergerechtigkeit gefährdet: „Wie könne es als fair angesehen werden, wenn einer der weltgrößten Konzerne höchstens 1% Steuern auf seine Gewinne in Europa habe zahlen müssen“. (7)
Vor diesem Hintergrund ist es sicher kein Zufall, dass die EU-Kommission just am 15. Juli 2020 (zum wiederholten Mal) mit einem neuen ANTI-FRAUD-TAX-PACKAGE an die Öffentlichkeit getreten ist.
„Wir müssen ehrlichen Bürgern und Unternehmen beim Steuerzahlen das Leben leichter machen und schwieriger für Betrüger und Steuerhinterzieher“, sagte EU-Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni bei der Vorstellung des Maßnahmenpaketes. (8) Jährlich gehen der EU schätzungsweise 130 Milliarden EUR an Steuereinnahmen verloren – durch Steuerhinterziehung, Steuervermeidung und Umsatzsteuerbetrug.
Das Maßnahmenpaket ist in der Presse auf relativ große Resonanz gestoßen (9) und besteht aus drei Teilen:
1. Aktionsplan für eine faire und einfache Besteuerung zur Unterstützung der Aufbaustrategie (COM (2020) 312)
Der Aktionsplan hat einen Anhang mit 25 verschiedenen Maßnahmen, die bis 2024 umgesetzt werden sollen, um die Besteuerung fairer und einfacher zu gestalten. Die tax compliance soll verbessert werden und die Behörden sollen einen besseren Zugriff auf bestehende und neu zu erhebende Daten haben. (10)
2. Verantwortungsvolles Handeln im Steuerbereich in der EU und darüber hinaus (COM (2020) 313)
Mit diesem Dokument unternimmt die Kommission einen erneuten Anlauf, eine länderübergreifende, faire Besteuerung in den Vordergrund zu stellen und einen unfairen Steuerwettbewerb zu brandmarken. Der diesbezügliche code of conduct soll überarbeitet werden.
3. Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 2011/16/EU des Rates über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden im Bereich der Besteuerung (COM (2020) 314)
Der Vorschlag zur Fortentwicklung der Richtlinie DAC 7 zielt vorwiegend auf die Verbesserung der Steuertransparenz des Geschäftsgebarens auf digitalen Plattformen. In einem Anhang werden Regeln zur Berichterstattung für die Plattformbetreiber vorgestellt und es soll einen automatischen Datenaustausch über das abgewickelte Geschäftsvolumen geben; die Daten hierzu müssen die Plattformbetreiber bereitstellen. (11)
Das ANTI-FRAUD-TAX-PACKAGE stellt angeblich nur den ersten Teil einer stringenten und ambitiösen EU-Steueragenda für die kommenden Jahre dar. (12) Geplant sind Initiativen zur Verbesserung der Energiesteuern im Sinne des Green Deal und anderer Verbrauchssteuern sowie die Harmonisierung von Zöllen. (13)
Wenn man sich die Agenda anschaut, kann man sich des Eindrucks nicht erwehren: „Weniger wäre mehr gewesen“. Den Lautsprechern der EU kann man mittlerweile keinen Glauben mehr schenken; an der Durchsetzungskraft angekündigter Maßnahmen bestehen berechtigte Zweifel, was der Apple-Steuerstreit klar belegt. So musste die Kommission wohl auch klarstellen, dass das ANTI-FRAUD-TAX-PACKAGE keine Ansätze für eine Unternehmenssteuerreform oder aber für eine Digitalsteuer beinhaltet. (14) Die wiederholte Ankündigung zu einer fairen und einfachen Unternehmensbesteuerung verhallt vor dem Hintergrund, dass die Initiative zur CCCTB (Common Consolidated Corporate Tax Base) wiederholt zur Seite gelegt und nicht umgesetzt wurde.
Wenn man sich die realen Ergebnisse der EU-Steuerpolitik anschaut, so kann es nicht überraschen, dass die EU-Kommission einen umwälzenden Vorstoß wagt: Der EU-Wirtschaftskommissar Gentiloni will Artikel 116 des EU-Arbeitsweisen-Vertrages auch auf die Steuerharmonisierung anwenden. (15) Gentioloni findet Unterstützung im europäischen Parlament; auch der EPP-Abgeordnete Ferber spricht sich für entsprechende Maßnahmen aus. DurchBildung einer „Koalition der Willigen“ sollen die sich verweigernden Staaten an den Pranger gestellt und ausgebremst werden. (16) Das hätte entsprechende Mehrheitsentscheidungen statt der bisherigen Einstimmigkeit zur Folge. Fraglich ist, ob der Wechsel der Arbeitsweise gelingen kann; Artikel 116 des Vertrages ist noch nie angewandt worden, so dass man sehr starke Argumente bräuchte, um diese Hürde zu nehmen.